Ansätze zum Management der Additive Manufacturing Supply Chain

  1. M.Sc. Matthias Baldinger ETH Zürich

Zusammenfassungen

Da sich Additive Manufacturing (AM) von traditionellen Produktionsverfahren unterscheidet, entstehen neue Möglichkeiten im Produktdesign und im Supply Chain Setup. Die Auswirkungen der Aufhebung traditionellen Restriktionen im Produktdesign werden unter dem Begriff „Design for Additive Manufacturing“ intensiv diskutiert. In gleicher Weise werden durch AM Restriktionen im traditionellen Supply Chain Setup aufgehoben. Insbesondere sind die folgenden Verbesserungen möglich: Reduktion von Losgrössen und Lieferzeiten, bedarfsgerechte Produktion auf Abruf, dezentrale Produktion, Customization auf Ebene Bauteil und kontinuierliche Weiterentwicklung von Bauteilen. Viele Firmen investieren nicht selbst in die AM Technologien, sondern kaufen Bauteile bei Lieferanten. Um das Potential der AM Supply Chain mit Lieferanten umzusetzen, entstehen die folgenden Anforderungen an AM Einkaufsprozesse. Erstens muss der Aufwand pro Bestellung reduziert werden. Zweitens brauchen AM Nutzer einen direkten Zugang zu den Lieferanten ohne Umweg über die Einkaufsabteilung. Drittens müssen geeignete AM Lieferanten einfach identifiziert werden können. Viertens muss der Wechsel von Lieferanten mit möglichst geringem Aufwand möglich sein. Ein mögliche Lösung sind AM spezifische E-Procurement System um diese Anforderungen zu erfüllen

As Additive Manufacturing (AM) differs from traditional production methods, it creates new possibilities in product design and supply chain setup. The effects of the relaxation of traditional restrictions in product design are discussed intensively under the term “Design for Additive Manufacturing”. In the same way, AM is relaxing some restriction in traditional supply chain setup. Especially the following improvements are possible: reduction of lot sizes and lead times, on-demand production, decentralized production, customization on the level of parts and continuous development of parts. Many companies do not invest in AM technologies themselves, but buy parts at suppliers. In order to realize the improvements of the AM supply chain with suppliers, the following requirements towards AM sourcing and procurement processes arise. First, the effort per order needs to be reduced. Second, AM users need direct access to suppliers without the detour over the procurement department. Third, suitable AM suppliers need to be identified easily. Fourth, switching between providers needs to be possible with low effort. A possible solution are AM specific e-procurement system to meet these requirements.

1. Motivation

Additive Manufacturing (AM) kennt keine Skaleneffekte und ermöglicht daher ein anderes Supply Chain Setup als die meisten traditionellen Produktionsverfahren: Es werden nicht Bauteile in grosser Stückzahl vorab hergestellt, sondern unterschiedliche Bauteile in kleinen Stückzahlen auf Abruf produziert. Dies verspricht eine schnellere, flexiblere und kostengünstigere Supply Chain.

Viele Firmen kaufen Bauteile auf dem AM-Lieferantenmarkt. Um die Vorteile der AM Supply Chain zusammen mit Lieferanten zu realisieren, sind AM-spezifische Einkaufsprozesse nötig. Dieses Paper stellt die Anforderungen an solche Prozesse zusammen und präsentiert eine E-Procurement Lösung zur Erfüllung dieser Anforderungen.

2. Unterschied zwischen Additive Manufacturing und traditioneller Fertigung

AM unterscheidet sich grundlegend in zweierlei Hinsicht zur traditionellen Fertigung (z.B. Spritzguss). Einerseits bedeutet die Komplexität von Bauteilen keine Zusatzkosten und ist generell weniger limitiert („Complexity for free“). Andererseits kennt die additive Fertigung keine Skaleneffekte, d.h. es werden keine grossen Stückzahlen zur Realisierung tiefer Stückkosten benötigt („No Economies of Scale“) (Baldinger 2013a). Auf Grund der Unterschiede stehen AM und traditionelle Fertigung nicht in Konkurrenz, sondern ergänzen sich gegenseitig. Die traditionelle Supply Chain eignet sich für grosse Stückzahlen gleicher Bauteile mit geringer Komplexität, die AM Supply Chain für kleine Stückzahlen unterschiedlicher Bauteile mit hoher Komplexität.

3. Aufhebung von Limitationen im Supply Chain Setup

Die traditionellen Fertigungsmethoden haben dem Produktdesign viele Restriktionen auferlegt, welche für AM nicht mehr gelten. Diese neuen Möglichkeiten werden z.B. von Gibson et al. (2010) unter „Design for Additive Manufacturing“ beschrieben.

In gleicher Weise hat die traditionelle Fertigung durch ihre Skaleneffekte zu vielen Restriktionen im Supply Chain Setup geführt. Diese gelten nicht für die AM Supply Chain, wodurch folgende Verbesserungen ermöglicht werden:

  • Reduktion von Losgrössen: Aufgrund von bauteilspezifischen Rüstkosten müssen bei traditioneller Fertigung grosse Losgrössen produziert werden. Dies führt zu hohen Lagerbeständen und Obsoleszenz. Da bei AM keine bauteilspezifischen Rüstkosten existieren, kann in kleinen Losgrössen produziert werden.

  • Reduktion von Lieferzeiten: Da keine Werkzeuge gebaut werden müssen und in kleineren Stückzahlen produziert wird, können die Lieferzeiten verkürzt werden.

  • Bedarfsgerechte Produktion auf Abruf: Reduzierte Losgrössen und Lieferzeiten ermöglichen eine bedarfsgerechte Produktion auf Abruf nach Kundenauftrag.

  • Dezentrale Produktion: Grosse Losgrössen und Werkzeuge führen traditionell zu einer Zentralisierung der Produktion. Dies ist theoretisch für AM nicht nötig. Da additive oft mit traditionellen Bauteilen kombiniert werden, sind die Möglichkeiten zur dezentralen Produktion beschränkt.

  • Customization auf Ebene Bauteil: Da oft bauteilspezifische Werkzeuge oder Maschinencodes benötigt werden, werden einzelne Bauteile traditionell nicht kundenspezifisch gestaltet. Die Customization findet daher über den modularen Aufbau aus verschiedenen „Standardteilen“ statt. AM ermöglicht die kundenspezifische Anpassung auf Ebene Bauteil.

  • Kontinuierliche Weiterentwicklung von Bauteilen: Sobald in ein Werkzeug oder einen Maschinencode investiert wird, findet ein Design Freeze statt und das Bauteil kann auch bei Mängeln nicht mehr weiterentwickelt werden. Da diese Vorabinvestitionen bei AM nicht bestehen, können Bauteile kontinuierlich weiterentwickelt werden.

4. Make-or-buy und der AM Lieferantenmarkt

Die meisten Firmen investieren nicht selbst in AM, sondern kaufen Bauteile bei Lieferanten (Baldinger 2013b). Der AM Lieferantenmarkt stellt folgende Herausforderungen an Firmen:

  • Portfolio von Lieferanten: AM steht für eine Vielzahl unterschiedlicher Technologien, welche eine grosse Materialvielfalt verarbeiten. Lieferanten haben typischerweise nur eine begrenzte Anzahl im Haus. Daneben unterscheiden sich die Geschäftsmodelle der Lieferanten, wodurch grosse Preisunterschiede auftreten (Baldinger und Duchi 2013). Firmen sollten daher mit einem Portfolio von Lieferanten arbeiten, um für jede Anwendung die beste Lösung zu finden.

  • Häufige Wechsel: Aufgrund technologischer Weiterentwicklungen und einem sehr dynamischen Lieferantenmarkt, werden sich diese Portfolios in den kommenden Jahren häufig verändern.

5. Anforderungen an Einkaufsprozesse

Um die Benefits der AM Supply Chain zu realisieren und den Herausforderungen des AM Lieferantenmarktes gerecht zu werden, ergeben sich spezifische Anforderungen an AM Einkaufsprozesse.

  • Aufwand pro Bestellung muss reduziert werden: Aufgrund kleinerer Losgrössen und Produktion auf Abruf, ergeben sich bei AM viele Bestellungen über kleine Beträge anstelle weniger Bestellungen über grosse Beträge. Daher muss der Aufwand pro Bestellung reduziert werden.

  • AM Nutzer benötigen direkten Zugang zu Lieferanten: Bei der traditionellen Fertigung werden Teile entwickelt und nach einem Design Freeze dem Einkauf „übergeben“. Hierbei verwaltet der Einkauf die begrenzte Anzahl eingefrorener Bauteile und ist der einzige Kontaktpunkt zu den Lieferanten. Additiv gefertigte Bauteile werden aber kontinuierlich weiterentwickelt und/oder an individuelle Kundenbedürfnisse angepasst. Dies führt zu einer grossen Anzahl verschiedener Bauteile, welche nicht sinnvoll vom Einkauf verwaltet werden können. Zudem führt der Weg über den Einkauf zu einer künstlichen Verlängerung der Lieferzeit. Daher sollten AM Bauteile direkt von den Mitarbeitern, die diese anpassen oder weiterentwickeln, bei Lieferanten angefragt werden. Aus diesem Grund brauchen alle AM Nutzer einen direkten Zugang zu den Lieferanten. Die Aufgabe des Einkaufs konzentriert sich darauf, geeignete Lieferanten für die Firma auszuwählen und mit diesen sinnvolle Konditionen zu verhandeln.

  • Aufwand für Lieferantenauswahl muss reduziert werden: Der Lieferantenmarkt ist aufgrund des schnellen Wachstums und der technologischen Entwicklung unübersichtlich. Die Auswahl von Lieferanten ist daher aufwendig.

  • Lieferantenwechsel muss einfach möglich sein: Firmen benötigen ein Standardinterface zu allen Lieferanten um auch bei einer grossen Anzahl AM Nutzern problemlos zu wechseln.

6. E-Procurement Lösungen

E-Procurement steht für elektronische Einkaufprozesse, insbesondere für Internet-basierte Lösungen. Hierbei gibt es verschiedene Kategorien, wobei elektronische Marktplätze grosse Zahlen von Lieferanten und Kunden verbinden (Schönsleben 2010).

Ein neutraler und öffentlicher Marktplatz verspricht hierbei die folgenden Benefits:

  • Reduzierte Transaktionskosten: Durch die Digitalisierung und teilweise Automatisierung des Einkaufsprozesses kann Arbeitsaufwand stark reduziert werden (Muffatto and Payaro 2004)

  • Reduzierte Suchkosten: Durch die Verbindung vieler Lieferanten und die Aggregation von Informationen zu diesen werden die Suchkosten für Käufer reduziert (Standing et al. 2010)

  • Reduzierte Wechselkosten: Durch die offene Architektur des Internets und niedrigen Setup Kosten sind Wechselkosten zwischen Lieferanten innerhalb elektronischen Marktplätzen tief (Roche 1995)

Werden die spezifischen Anforderungen aus dem letzten Abschnitt unter diesem Kontext betrachtet, stellen die ersten zwei Punkte eine Reduktion der Transaktionskosten, der dritte eine Reduktion der Suchkosten und der vierte eine Reduktion der Wechselkosten dar. Daher scheint eine AM-spezifische E-Procurement Lösung ein geeignetes Mittel zu sein, um die Anforderungen zu adressieren.

7. Case Study Additively

Additively AG betreibt unter www.additively.com eine AM-spezifisches E-Procurement System, welche die obengenannten Punkte adressiert.

Reduzierte Transaktionskosten

Die Additively Applikation automatisiert den Workflow um Angebote einzuholen und Bauteile zu bestellen. Anfragen können im online Template in wenigen Minuten hochgeladen werden. Das Template stellt sicher, dass die wichtigsten Informationen vorhanden sind. Die Anfrage wird automatisch an Lieferanten verschickt – entweder an Lieferanten aus dem Portfolio der Firma oder geeignete Lieferanten aus dem Additively Netzwerk mit über 300 Anbietern. Eine Identifikation von Lieferanten durch die Firma entfällt. Die integrierte Workflowsoftware stellt sicher, dass die Lieferanten innert kürzester Zeit Angebote in einem standardisierten Template erstellen. Dieses ist für den Käufer einfach verständlich und vergleichbar.

Die Additively Applikation wird direkt durch den AM Nutzer bedient und durch den Einkauf gemonitort. So kann der Einkaufsprozess bedeutend effizienter gestaltet werden und sowohl Arbeitszeit als auch Durchlaufzeit reduziert werden (siehe Abbildung 1).

Abbildung 1: Traditioneller und AM Einkaufsprozess

Reduzierte Suchkosten

Im Additively Netzwerk befinden sich momentan über 300 AM Lieferanten. Diese besitzen alle ein detailliertes Lieferantenprofil mit Angaben zu Technologien, Materialien, weiteren Services und Industriespezialisierungen. Um die Qualität sicher zu stellen, können Käufer Lieferanten, basierend auf verschiedenen Kriterien, bewerten. Additively identifiziert für Firmen geeignete Lieferanten im Netzwerk und reduziert so die Suchkosten beinahe auf null.

Reduzierte Wechselkosten

Additively bietet allen Mitarbeitern der Firma ein Standardinterface zu allen Lieferanten. Dies ermöglicht auch bei einer Vielzahl von Nutzern einen problemlosen Wechsel zwischen Lieferanten.

8. Zusammenfassung

Wie beim Produktdesign, löst AM auch beim Supply Chain Setup traditionelle Restriktionen auf. Um die neuen Möglichkeiten mit Lieferanten zu realisieren, entstehen spezifische Anforderungen an AM Einkaufsprozesse. Dieses Paper schlägt ein AM-spezifisches E-Procurement System als mögliche Lösung zur Erfüllung dieser Anforderungen vor.

9. Referenzen

Baldinger, M. (2013a), „3D-Drucker revolutionieren die Supply Chain“, GS1 Network, Vol. 2, pp. 21-24

Baldinger, M. (2013b), “Best Practice beim Kauf von Bauteien aus dem 3D-Drucker“, Maschinenmarkt, Vol. 14, pp. 62-63.

Baldinger, M und Duchi, A. (2013), “Price benchmark of laser sintering service providers”, in da Silva Bartolo, P.J. et al. (Eds.), High Value Manufacturing: Advance Research in Virtual and Rapid Prototyping: Proceedings of the 6th International Conference on Advanced Research in Virtual and Rapid Prototyping, Leiria, Portugal, 1-5 Oktober, 2013, CRC Press, Boca Raton, FL, pp. 37-42.

Gibson, I., Rosen, D.W. und Stucker, B. (2010), “Design for additive manufacturing”. In Gibson, I. et al (Eds.), Additive Manufacturing Technologies: Rapid Prototyping to Direct Digital Manufacturing, Springer, Berlin, Deutschland, pp. 283-316.

Muffatto, M. und Payaro, A. (2004), “Integration of web-based procurement and fulfillment: A comparison of case studies”, International Journal of Information Management, Vol. 24 No.4, pp. 295–311.

Roche, E. (1995). “Business value of electronic commerce over interoperable networks”. Discussion Paper, National Science Foundation, Rosslyn, VA, July 6–7.

Schönsleben, P. (2012). Integral logistics management: operations and supply chain management within and across companies, CRC Press, Boca Raton, FL

Standing, S., Standing, C. and Love, P. E. (2010) “A review of research on e-marketplaces 1997-2008” Decision Support Systems, Vol. 49 No. 1, pp. 41–51.

10. Kontakt

M.Sc. Matthias Baldinger
ETH Zürich
Weinbergstr. 56/58
8092 Zürich
E-Mail: mbaldinger@ethz.ch
Web: www.lim.ethz.ch