Design for Rapid Manufacturing
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Wir beobachten heute eine starke Tendenz zur Individualisierung von Produkten, mit tief greifenden Folgen für Design, Herstellung und Vertrieb. Technische Innovationen ermöglichen die Fertigung von Einzelstücken in kontinuierlichen, industriellen Prozessen (Fabbing), während sich das Internet als Schnittstelle zum Kunden etabliert hat, der an der Gestaltung des Produktes aktiv mitwirken kann.
Das Produktdesign hat auf die Gestaltung von Produkten in diesem Kontext bisher nur vereinzelt reagiert und keine übergreifende Theorie entwickelt, wo Produktindividualisierung sinnvoll ein- und wie Teilhabe des Kunden an der Gestaltung umgesetzt werden kann. Auch sind praktische Beispiele für einen integrierten Prozess aus Design unter Partizipation des Kunden und Fabbing von Produkten einer gewissen Komplexität noch selten.
Es gibt zwei augenfällige Widersprüche. Da ist einerseits das Marketing, das enge Vorgaben macht und Ergebnisse grundsätzlich vom “Konsumenten” auf Akzeptanz testen lässt, da sind andererseits die Apologeten des Rapid Manufacturing, die auf die Frage, was sie denn nun individuell fertigen wollten, meist “Hörgeräte” und “Sonnenbrillen” antworten oder tief überzeugt sagen: “Alles!” Doch warum? Wer hat einen Vorteil? Wie einen Individualisierungsprozess organisieren? Wie die Vorlieben der Menschen erfassen? Wie die Gestaltung nicht vorsetzen, sondern dazu anregen?
In diesem Spannungsfeld liegen die relevanten Fragen für das Design for Rapid Manufacturing. Die klassischen Massenprodukte werden als Mittel zur Repräsentation heute in dem Maße unwichtig, in welchem sich die breite Mittelstandsgesellschaft in Milieus und Szenen zerstreut. Für die Hersteller von Konsumgütern bedeutet diese „Massenflucht aus dem Mainstream“ die Wahl zwischen zwei gegensätzlichen Strategien: entweder einer der Kostenführerschaft oder einer der Differenzierung und qualitativen Aufwertung der Produkte. Konsumgüter werden nicht mehr primär aufgrund ihrer Funktion gekauft, sondern wegen ihres spezifischen Charakters, ihrer Aussage über den Besitzer bewusst gewählt und weil die Zahl gesellschaftlich akzeptabler Aussagen wächst, wächst auch die Zahl der Produktvarianten und Stilrichtungen. Diese Entwicklung hat vielfältige Konsequenzen für den Beruf des Designers. Zwar haben wir insgesamt mehr zu gestalten, die finanziellen und funktionalen Freiräume werden dabei aber immer geringer. Viele Gestaltungsaufgaben sind lediglich kosmetischer Natur, sind Re-designs und Adaptionen bestehender technischer Kerne.
Es ergibt sich ein weiteres, grundsätzliches Problem. Galt im klassischen Marketing die Maximierung der Auswahl noch als eins der Hauptziele, so hat man mittlerweile erkennen müssen, das vergrößerte Auswahl auch zu Frustration des Kunden und weniger Konsum führen kann. Wie also können kundenindividuelle Massenprodukte hergestellt werden, was bedeutet das für ihr Design und in welchen Bereichen ist es überhaupt sinnvoll?
Eine Produktindividualisierung lohnt nur, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Die folgenden sechs Voraussetzungen erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sie haben sich jedoch im Verlauf unserer Arbeit als taugliches Mittel der Einteilung bewährt. Es zeigte sich, dass jedes halbwegs erfolgreich umgesetzte Konzept mindestens zwei, meistens jedoch drei der unten genannten Voraussetzungen erfüllt.
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Bestimmte Dinge sind einer ausreichend großen Gruppe persönlich wichtig, weil sie gewisse individuelle Codes übertragen.
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Ein klarer Vorteil entsteht durch Anpassung auf individuelle Körperparameter Besonders interessant sind dabei jene Konzepte, die ohne aufwändige Vermessungsschritte auskommen, z.B. Hörgeräte (einfache Abformung) und Sonnenbrillen (Digitalfotos des Gesichts und Mapping der Brille).
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Der Kunde muss dem Produkt ein ausreichendes Interesse entgegenbringen, um den Aufwand der Individualisierung zu durchlaufen. Mit anderen Worten: der Aufwand der Individualisierung muss insgesamt geringer ausfallen, als jener der Auswahl aus einem massenproduzierten Warenangebot.
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Die Leistung eines spezifischen Produktes ist direkt abhängig von seiner individuellen Anpassung an bestehende Systeme.
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Individualisierung bewirkt durch Abbau unnötiger Informationen und Features eine Vereinfachung und damit eine bessere Leistungserbringung.
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Überall wo Produkte Modewellen unterworfen sind und viele Varianten ein- und desselben Dings auf dem Markt sind, gibt es Spielräume für Individualisierung. In diesem Fall liegen besondere Vorteile in für den Hersteller realisierbaren Lerneffekten über die Anforderungen seiner Kunden.
Ein Designtool oder Produktkonfigurator ist integraler Bestandteil jedes Individualisierungskonzeptes. Nicht mehr die physische Präsenz des Produktes bestimmt die Kaufentscheidung, sondern die Veränderung und Anpassung seiner bildhaften Darstellung im Durchlaufen eines standardisierten Gestaltungsprozesses.
Die Funktion des Designtools ist untrennbar verknüpft mit Konstruktion und Fertigung des Produktes. Es gibt mit Auswahl und Parametereingabe nur zwei grundsätzliche Funktionen in allen von uns untersuchten Designtools. Der Freiheitsgrad des Kunden ist dabei größer, je einfacher das zugrunde liegende Prinzip der Fertigung ist.
Designtools leiten den Kunden immer zu einem Vorgehen nach der Methode try-and-error an. Die Auswahl mit der Konfigurationskomponente wird - wo möglich - von der Präsentationskomponente direkt in ein Abbild des Produktes umgesetzt.
Ein schlecht umgesetztes Designtool verspielt einen maßgeblichen Vorteil des gesamten Konzeptes. Der Kunde muss sich als Createur fühlen können, er muss von seinen Möglichkeit positiv überrascht werden und Stolz auf das selbst (mit-)entwickelte Produkt sein können. Jenseits der Fixierung auf Fertigungstechnologien und Kundenbedürfnisse, kann die Erzeugung dieser Begeisterung als Kernprodukt verstanden werden.
Für das Design hat die Aufgabe den Kunden zum Miterschaffer zu machen weit reichende Folgen, da sie an den Entwurf des physischen Produktes ein zusätzliches, umfangreiches Set von Anforderungen koppelt. Nicht mehr “nur” Funktion, Materialeigenschaften und Fertigung wirken limitierend auf die Entwurfsfreiheit, sondern die Erlebbarkeit der Konzeption und des Entwurfes, also des Designs insgesamt, gerät zunehmend in den Vordergrund.
Die Freiheitsgrade des Designprozesses in die Hände der Kunden zu legen, bedeutet also die Entwicklung von open tools, die den Menschen die Möglichkeit geben, die Dinge nach ihren Vorstellungen zu manipulieren. Ein bekanntes Beispiel besagt, der Produzent einer Wasserflasche befriedige nicht das Bedürfnis des Menschen nach einer solchen, sondern er habe den Durst zu stillen. Es wird dann immer vom Designer gefordert, sich dementsprechend auch mit Durst und nicht mit Flaschen zu beschäftigen. Denken wir dieses Beispiel im Sinne des Gesagten weiter, so ist die Antwort die Gestaltung einer Atmosphäre, die dem Menschen erlaubt zu entscheiden, wann und wo er eine Quelle oder einen Regenschauer haben möchte, bzw. im die Quelle im Moment des Durstes bereitstellt.
Das Themas Rapid Manufacturing ist weit und für das Design von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Es geht dabei nicht nur um neue Arbeitsfelder und Herausforderungen an den Gestalter und seine Tätigkeit, es geht auch um die Gestaltung, die Öffnung der Möglichkeiten durch neue Fertigungstechnologien für die Kunden selbst, um eine Demokratisierung der Gestaltung. Damit verbunden ist die Erwartung, Nachhaltigkeit zu erreichen, durch Identifikation des Menschen mit einem selbst (mit-)gestalteten Produkt dessen emotionale Lebensdauer zu verlängern, der Modefalle zu entgehen. Schließlich fällt bei einer Betrachtung der Beispiele auf, dass es heute oft die Nischenanbieter sind, welche Rapid Manufacturing oder ähnliche Konzepte auf Basis einfacherer Techniken überzeugend umsetzen. Das mag daran liegen, dass etwa in der Fertigung von Taschen und anderen Textilprodukten die strukturelle Komplexität des Produktes und seiner Logistik gering ist. Es liegt auch an den oft noch schlecht vernetzten Fähigkeiten von Produkt- und Webdesignern, Ingenieuren und Informatikern, die nur gemeinsam die Konfiguration komplexerer Produkte zu einem überzeugenden Erlebnis werden lassen. Unser Produkt ist das Management eines komplexen, interdisziplinären und dynamischen Gestaltungsprozesses im Dialog.
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Sven Schulz
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