Nutzt der Konstrukteur schon alle Chancen der generativen Fertigung?

  1. Volker Grießbach Kunststofftechnik GmbH

Zusammenfassung

Mit der Nutzung der CAD-Techniken hat sich vieles im Arbeitsablauf des Konstrukteurs verändert. Vor allem beschleunigte sich die Entwicklung mit den Rapid Techniken. Die Entwicklungszeit wurde verkürzt und die Formenfreiheit und Teilekomplexität wurde vergrößert. Der zunehmende Trend nach Variantenvielfalt, kurzen Produktlebenszyklen und geringen Fertigungsstückzahlen, führt zwangsläufig zu einer neuen Betrachtungsweise der verfügbaren Fertigungsprozesse und Werkstoffe.

Keywords

  • Kunststofftechnik
  • Steckverbinder
  • generative Fertigung

1. Wandel in Konstruktion und Fertigung

Seit mehr als zwei Jahrzehnten hat sich mit der Nutzung der CAD-Techniken vieles im Arbeitsablauf des Konstrukteurs verändert. Vor allem beschleunigte sich der zeitliche Werdegang des Entwicklungs- und Konstruktionsprozesses. Die sehr schnelle Verfügbarkeit digitaler Konstruktionsdaten, gepaart mit der digitalen Fertigung, hat nicht nur die Entwicklungszeit auf 20 bis 30% reduziert, sondern es konnte auch die Teilekomplexität und Formfreiheit auf das acht- bis zehnfache vergrößert werden.

Mit der wirtschaftlichen Nutzung der generativen Techniken (Rapid Prototyping ) ab 1990 konnte die geometrische Vielfalt und Komplexität der Teile weiter optimiert werden. Ebenso schnell kam die Forderung diese Geometrieprototypen zu belasten, um funktionelle Erprobungen durchzuführen. Mit dem Einsatz neuer Werkstoffe und verbesserter Verfahrenstechniken ist es zu verdanken, dass die Rapid Prototyping Techniken ihren revolutionären Weg in der Produktentwicklung ( Funktionsprototypen ) fortsetzten.

2. Expansionsmöglichkeiten und Grenzen generativer Techniken

Der Einsatz der generativen Techniken im Formen- und Werkzeugbau zeigte uns weitere Expansionsmöglichkeiten und auch die Grenzen. Die Zeit- und Kosteneinsparung im Rapid Tooling Bereich waren gegenüber der sich ebenso schnell entwickelten klassischen Formenbautechniken und Formenbaumangement nicht so gravierend. Mit zunehmender Miniaturisierung und Verfeinerung der Fertigungstoleranzen von Neuentwicklungen konnten mit den Rapid Tooling Verfahren die Marktforderungen nur ungenügend erfüllt werden.

Der zunehmende Trend hoher Variantenvielfalt, kurzer Produktlebenszyklen und damit geringer Fertigungsstückzahlen, gepaart dem technischen Fortschritt aus dem Vorbild der Natur zu entnehmen, führte zwangsläufig zu einer neuen Betrachtungsweise der verfügbaren Fertigungsprozesse und Werkstoffe.

Die generativen Verfahren bieten durch den Wegfall des Formen-, Werkzeug- und Vorrichtungsbaues für die Bauteilherstellung eine sehr interessante Alternative.

Es ist nicht leicht die jahrtausend alten Traditionen des Zerspanens mit der Fertigung und Bearbeitung des Faustkeiles, des Umformens mit den Töpfern, des Fügens mit den Flechten und Weben von Fasern und das Urformen mit dem Gießen von Metallen mit den neuen generativen Verfahren in die ganzheitliche Betrachtung aufzunehmen. Unkenntnis und Vorbehalte zu den generativen Verfahren führen dazu, dass wir beim Vergleich zu den traditionellen Verfahren nur den wirtschaftlichen Ersatz und nicht die Chancen sehen.

3. Serientauglichkeit generativer Verfahren

Um diese Sicht zu verbessern müssen zuerst die generativen Verfahren ihre Serientauglichkeit beweisen, das heißt, die Fertigung muss zeitlich unabhängig zu reproduzierbaren Ergebnissen führen. Bei den geometrischen Forderungen ist die Beurteilung der Qualität noch relativ übersichtlich. Fertigungstoleranzen und Oberflächenstrukturen sind gut zu bewerten. Sehr gut können auch die wirtschaftlichen Gesichtspunkte bewertet werden. Der errechnete „break even“ zeigt uns bis zu welcher Fertigungsstückzahl die generativen gegenüber den Wettbewerbsverfahren ihren Vorteil zeigen.

Unübersichtlich und kompliziert wird die Situation in der Betrachtung der Langzeitbelastbarkeit der nutzbaren Werkstoffe. Hier fehlt es an fundierten Werkstoffwerten und Prozesserfahrungen. Das Eigenschaftsbild der Bauteile wird überwiegend von der jeweiligen Prozessführung bestimmt, oder anders gesagt, gleiche Bauteile mit chargengleichen Werkstoffen auf typengleichen Anlagen verarbeitet, garantieren noch lange kein gleiches Eigenschaftsbild. Gegenwärtig werden das fehlende aber notwendige Wissen und die Prozesserfahrungen von einigen Lieferanten und Dienstleistern systematisch erarbeitet.

4. Verschiedene Phasen in der Herstellung von Kunststoffteilen für den Serieneinsatz

Die V.G.Kunststofftechnik begann vor 6 Jahren Kunststoffteile mittels generativer Verfahren direkt aus dem 3D-Datensatz in „One-Step“ für den Serieneinsatz herzustellen.

Die Aufgabe wurde in 5 Etappen gelöst:

1. Etappe
„Direkteinfärbung von Stereolithographie- und Lasersintermodellen“
Mit einem neuartigen und patentierten Verfahren werden die komplexen Bauteile rundum durch einen Diffusionsvorgang ohne maßlichen Aufbau eingefärbt.

2. Etappe
„Hohe Maßhaltigkeit, dünne Wände und glatte Oberflächen“
Mit der Bereitstellung einer neuen Generation Stereolithographie- und Lasersinteranlagen und neuer flexibler Werkstoffe konnte erstmals das Feld der Modell- und Prototypenfertigung erweitert werden. Durch umfangreiche Optimierungsarbeiten und Tests in Zusammenarbeit mit Kunden und Anlagen- und Werkstofflieferanten konnten 2002 erstmals 16.000 Stück serientaugliche Kleinststeckverbinder aus einem maß- und formstabilen SL-Harz ( AccuGen 100 ) innerhalb 1 Woche hergestellt werden.

3.Etappe
„Höhere Temperaturbelastung“
Durch den Zusatz von nanoskaligen Füllstoff in Stereolithographieharzen entsteht ein Compound mit außergewöhnlichen Eigenschaften. Neben der hohen Maßhaltigkeit und Oberflächenqualität sind die Bauteile bis +250°C belastbar. Die Zugfestigkeit liegt bei 50MPa bzw. der E-Modul bei 5500 MPa und zeigt Ähnlichkeiten zu PA 6 GF30. Die Bruchdehnung von 0,5 bis 1% belegt, dass wir mit einem duroplastischen Werkstoffverhalten zurechtkommen müssen. Mit dem Stereolithographieharz „NanoForm“ konnte V.G. ihr Leistungsvolumen für die Vor- und Kleinserienfertigung, speziell von kleinen Elektronikbauteilen, weiter erhöhen.
Die von V.G. eingesetzten Lasersinterwerkstoffe sind vom Polymertyp PA12 ( Duraform ), ihre Wärmebelastbarkeit liegt bis +120°C und steigt beim Einsatz von glasgefüllten PA12 auf +130°C. Mit diesem Eigenschaftsbild kann eine große Bandbreite technischer thermoplastischer Kunststoffe erfüllt werden.

4. Etappe
„Funktionelle Prototypen“
In den sechsjährigen Entwicklungsprozess war und ist dies ein besonders schwieriges Aufgabenfeld. Dem Konstrukteur mussten die neuen Möglichkeiten der Verfahren und der Werkstoffe bekannt gemacht werden. Nur wenn er erkennt, wie in der jeweiligen Produktentwicklungsphase die konstruktions- und werkstoffseitigen Schwachstellen erfasst und korrigiert werden können, spart er Zeit und Kosten für den Formenbau und Korrekturen in der Serieneinführung. Die gewonnenen Erfahrungen mit den generativen Fertigungstechniken geben dem Konstrukteur völlig neue Möglichkeiten zur Bauteilentwicklung und -fertigung. Er hat damit die Möglichkeit Bauteile zu konzipieren, die bezüglich Entformbarkeit und komplexer Geometrien bisher als utopisch galten.

5.Etappe
„Direkter Einsatz als Serienbauteil“

5. Neues Verfahren

Es ist nun kein Problem mehr, maßgenaue Kunststoffformteile mit den generativen Verfahren „Stereolithographie“ und „Lasersintern“ zu erzeugen. Sie sind wie Serienteile funktionsfähig aber die Frage nach einer dynamischen Langzeitbelastung, wie etwa 5 bis10 Jahre, können nur unzureichend beantwortet werden.
Weiterhin besteht die Problematik, wie schon angeführt, dass die Bauteileigenschaften unmittelbar vom jeweiligen Verfahren und dessen Prozessparametern abhängig sind. Gegenüber dem Spritzgießen sind die an sich bekannten Werkstoffeigenschaften der Ausgangsmaterialien nur bedingt auf die zu erwartenden Eigenschaften der zu fertigenden Bauteile übertragbar.

Die V.G.Kunststofftechnik hat ein Verfahren und eine Vorrichtung entwickelt, in dem direkt im Fertigungs-Prozess gemeinsam mit den Bauteilen Prüfkörper erzeugt werden können. Nachfolgend werden sie vermessen und in der Vorrichtung sofort einer dynamischen Dauerprüfbelastung unterzogen. Diese Prüfung kann zum Beispiel bei Lasersinterprüfkörpern mit einer Deformation von 10% und einer Belastungsfrequenz von 5 Hertz bis zur Zerstörung oder einer vorgegebenen Zeit erfolgen. Die Prüfergebnisse sind sofort verfügbar und ähnlich auswertbar wie die bekannten Wöhler-Kurven, die die Bruchzeit bei verschiedenen Belastungsstufen und -frequenzen vorgeben. Unsere Tests haben ergeben, dass nach ca. 10.000 Lastwechsel in 35 Minuten ohne Bruch schon serientaugliche Eigenschaften vorliegen – das ist Rapid-Testing.

6. Schlussfolgerung

Wir erkennen, dass durch den Wegfall von Zeit- und Kostenaufwendungen für den Formenbau, speziell in der Vor- und Kleinserienfertigung ein großes Einsparpotenzial vorliegt. Der Bedarf an formenfreien Teilen ist in den Bereichen Sonderfahrzeuge, Vorrichtungs- und Gerätebau, Medizintechnik und Maschinenbau im stetigen Zuwachs. Für die Elektrotechnik und Elektronikindustrie werden gegenwärtig Stückzahlen von über 1.000 Stück gebaut.

Für einen 76-poligen Steckverbinder, der aus 9 verschiedenen Einzelbauteilen besteht, wurde das erste Los mit 200Stück (=1800 Teile) nach 10 Tagen im Lasersinterverfahren gefertigt, gefärbt, montiert und dem Kunden geliefert. Die Folgelose für 1000 Stück waren nach 6 Wochen abgeschlossen. Die maßgerechten und dauerbelastbaren Steckverbinder bestanden beim Kunden einen mehrmonatigen Praxistest mit Erfolg.

Die Ergebnisse liegen auf der Hand:

  • 5 Monate Entwicklungsvorsprung

  • ca. 100.000 EUR Kosteneinsparung und

  • die konstant stabile Qualität der Steckverbinder

sind ein weiterer Beleg für die Zukunftsfähigkeit der formenfreien Fertigung – Rapid Manufacturing.

7. Kontaktangaben

Dr. Volker Grießbach
V.G. Kunststofftechnik GmbH
Ludwig-Richter-Str. 38
09131 Chemnitz
Fon : 0049 (0)371 471610
Mail: volker.grießbach@vg-kunst.de
WEB: www.vg-kunst.de