RP gestützte Herstellung komplexer transparenter Hohlräume für die Strömungsanalyse
© 2005 Andreas Gebhardt; Lizenznehmer RTejournal, weitere Informationen sind zu finden unter: http://www.dipp.nrw.de/service/dppl/
urn:nbn:de:0009-2-1015
Zusammenfassung
Die Berechnung der Durchströmung von Bauteilen ist gegenüber derjenigen von umströmten Bauteilen deutlich im Hintertreffen. Das liegt vor allem an der fehlenden Verfügbarkeit geeigneter optisch transparenter Modellkanäle für die experimentelle Analyse.
Der Beitrag stellt ein Verfahren zur Herstellung transparenter durchströmter Geometrien auf der Basis generativ gefertigter Urmodelle vor. Damit können beliebig komplexe Innenströmungen optisch analysiert werden.
Anhand von zwei Beispielen aus der Medizin, der Modellierung der oberen Atemwege und des Bronchialbaums, wird das Verfahren vorgeführt. Der generative Bauprozess mittels 3D-Printing wird beschrieben und die Abformung in transparentem Silikon gezeigt. Schließlich werden beispielhaft der Messaufbau und Ergebnisse der Anwendung vorgestellt.
Das Verfahren bildet die Grundlage für die Analyse und Berechnung komplexer Innenströmungen und trägt somit zur Verbesserung zahlreicher technischer Anwendungen bei.
Abstract
Unlike the flow around technical products the interior flow is not understood very well. That’s mainly because of a lack of suitable transparent investigation tunnels that are needed to apply optical methods.
The paper proposes a procedure to make precise complex hollow structures from a highly transparent material using masters from generative or Rapid Prototyping processes.
Taking two examples from the medical field, the upper human airways and the bronchial tree, the entire process is shown. The 3D Printing build process is illustrated as well as the silicon casting process. Finally the measuring equipment is demonstrated and sample results are given.
The process establishes the basis for the investigation and calculation of complex interior flow pattern and therefore contributes to a better understanding and consequently improvement of appropriate technical products.
Während bei der Berechnung der Umströmung von Bauteilen in den letzten Jahren vor allen Dingen deshalb enorme Fortschritte erzielt wurden, weil theoretische Analyse und experimentelle Bestätigung Hand in Hand konsequent weiter entwickelt und eingesetzt wurden, ist ein entsprechender Fortschritt bei innen durchströmten Kanälen und Hohlräumen mit komplexen Geometrien bisher nicht in gleichem Maße erzielt worden. Die Rechen- und Simulationsverfahren für Außenströmungen sind natürlich auch für Innenströmungen anwendbar. Jedoch ist die experimentelle Validierung und Detaildarstellung der Strömungsvorgänge häufig aufgrund der fehlenden Verfügbarkeit geeigneter optisch transparenter Modellkanäle nicht möglich.
Der Beitrag stellt ein Verfahren vor, mit dem beliebig komplexe Innenströmungen mit Hilfe hochtransparenter Strömungsmodelle und optischer Strömungsmessverfahren experimentell untersucht werden können. Im Mittelpunkt steht die Herstellung der komplexen Geometrien auf der Basis generativ gefertigter Urmodelle.
Komplexe Innenströmungen liegen vor allen Dingen in wärmeübertragenden Systemen wie z.B. in Kühlkreisläufen oder bei gekühlten Gasturbinenschaufeln vor. Außerhalb der Technik sind es insbesondere Biosysteme, die besonders komplexe Innenstrukturen aufweisen. Ein Beispiel für solch eine komplexe strömungsführende Geometrie sind die Atemwege des Menschen, insbesondere die oberen Atemwege (Abbildung 1) und der Bronchialbaum (Abbildung 2). Sie weisen gegenüber technischen Systemen häufig besonders komplizierte Geometrien auf. An diesen Beispielen wurde das Prinzip der Herstellung der transparenten Strömungsmodelle und das Messverfahren für komplexe Innenströmungen exemplarisch entwickelt.
Abb.1: Atemwege des Menschen
Abb.2a Bronchialbaum
Abb.2b: Bronchialbaum
Im Gegensatz zu technischen Systemen sind die meisten Biosysteme einer direkten Konstruktion mittels 3D CAD- Systeme nicht unmittelbar zugänglich. Die Geometrien werden daher vorzugsweise direkt aus CT- und MRT-Daten gewonnen oder aus daraus abgeleiteten Approximationen.
Im Inneren der Nasenhohlräume befinden sich die sogenannten Nasenmuscheln, die längst zur Strömungsrichtung angeordnet sind und vor allen Dingen der Regulierung des Feuchthaushalts der Nasenschleimhäute dienen. Wenn diese sich pathologisch vergrößern, sind sie häufig die Ursache für eine verschlechterte Ventilation und daher für Atembeschwerden. Ein entsprechender operativer Eingriff ist heute Routinesache. Allerdings kommt es vor, dass dadurch die Ventilation gewünscht verbessert, die Befeuchtung der Nase aber verschlechtert wird, weshalb die Patienten anschließend unter trockenen Nasen leiden. Daher ist es für die Medizin besonders wichtig, die Abhängigkeit zwischen der Geometrie der einzelnen Muscheln, den Strömungsverhältnissen und der Befeuchtung genauer zu kennen. Zu diesem Zweck wurde ein entsprechendes Strömungsmodell mit den beschriebenen Verfahren hergestellt und vermessen.
Abb.3: Rekonstruktion des Nasenhohlraums
Zur Herstellung des Strömungsmodells wurden CT-Aufnahmen des Nasenhohlraums von Patienten ausgewertet und daraus die dreidimensionale Geometrie der Muscheln rekonstruiert (Abbildung 3). Insbesondere die Querschnitte 1-5 zeigen deutlich den zerklüfteten innendurchströmten Kanal, der zudem quer zur Strömungsrichtung massive Hinterschnitte aufweist. Zur Herstellung eines Strömungskanals wurde ein dem durchströmten Hohlraum entsprechender Kern, also ein Positiv des Kanals, datentechnisch abgeleitet und mit Hilfe einer 3D-Printing Anlage physisch umgesetzt (Abbildung 4).
Abb.4: Strömungskanal, Physische Umsetzung
Dieser Kern wurde gründlich nachbearbeitet und mit Hilfe einer speziellen Methode äußerlich so infiltriert, dass er anschließend in hoch transparentes Silikon eingegossen und nach der Verfestigung des Silikons rückstandsfrei entfernt werden konnte.
Abb.5: Hochtransparentes Strömungsmodell
Das Resultat ist ein hochtransparentes Strömungsmodell (Abbildung 5), das bei Verwendung einer Brechungsindex-angepassten Modellflüssigkeit eine direkte laseroptische Vermessung der Strömungsverhältnisse in beliebigen Querschnitten ermöglicht (Abbildung 6 zeigt das Messprinzip, Abbildung 7 die Versuchsanordnung).
Abb.6: Messprinzip
Abb.7: Versuchsanordnung
Das Ergebnis ist ein vollständiges Vektorfeld der Strömung durch die Nasenmuscheln (Abbildung 8).
Abb.8: Vektorfeld und Stromlinien
Die Beispiele zeigen die Verhältnisse bei Einatmung (Abbildung 9) und Ausatmung (Abbildung 10) und erlauben entsprechende Rückschlüsse auf die Befeuchtung der oberen Atemwege.
Abb.9: Strömung durch die Nasenmuscheln, Einantmen
Abb.10: Strömung durch die Nasenmuscheln, Ausatmen
Nach dem gleichen Verfahren wurde die wesentlich kompliziertere Struktur eines Bronchialbaumes nachgebildet. Aus dem natürlichen Bronchialbaum eines Patienten wurde mit Hilfe von bildgebenden medizinischen Verfahren die tatsächliche Geometrie rekonstruiert und als 3D-Printing Modell hergestellt. Zur Abschätzung der realisierbaren Details und zur Absicherung des Verfahrens wurde dieser originale Bronchialbaum in hochtransparentes Silikon eingebettet (Abbildung 11).
Abb.11: Bronchialbau, eingebettet in hochtransparentem Silikon
Der Bauprozess entspricht dem klassischen 3D-Printing Prozess. (Beschreibung z.B. in [Gebhardt 2000], Kapitel 3.3.5. oder im RTeJournal ( www.rtejournal.de ; Archiv; Ausgabe 1 (2004), Gebhardt, Andreas: Grundlagen des Rapid Prototyping).
Abb.12: Bronchialbaum, Bauteil vor der Infiltration
Abbildung 12 zeigt die sehr fragile Geometrie des teilweise vom stützenden Pulver befreiten Bauteils vor der Infiltration. Die Bruchgefahr wird zusätzlich dadurch vergrößert, dass möglichst wenig Binder verwendet wird, um das spätere Auslösen aus dem Silikonblock zu erleichtern. Das vollständig entpackte und infiltrierte Bauteil zeigen die Abbildungen 13a-c.
Abb.13a-c. Entpacktes und infiltriertes Bauteil
In einer Video-Animation kann das Bauteil von allen Seiten betrachtet werden.
Das Messprinzip wird an einem zweiten Beispiel, einem davon abgeleiteten geometrisch bestimmten Bronchialbaum erläutert. Um die Messwerte später genau mit entsprechenden numerischen, lasergestützten Messverfahren zu korrelieren, wurden von diesem naturgetreuen Bronchialbaum ein computergenerierter Bronchialbaum abgeleitet und ebenfalls mit Hilfe von 3D-Printing Verfahren gebaut. Abbildung 14 zeigt das geometrische Modell des Bronchialbaums und Details einer Verzweigung. – Auf Abbildung 15 ist das fertig infiltrierte Bauteil zu sehen.
Abb.14: Geometrischse Modell
Abb.15: Fertiges infiltriertes Bauteil
Das hochtransparente Modell wurde mit einem Brechungsindex-angepassten Wasser-Glycerin-Gemisch oszillierend durchströmt. Abbildung 16 zeigt den die Konstruktion und den Messaufbau mit dem integrierten hochtransparenten Strömungskanal des Bronchialbaum.
Abb.16.:Konstruktion und Messaufbau
Die Übertragbarkeit der Ergebnisse wurde durch Einhaltung der strömungsmechanischen Ähnlichkeitsgesetze mit Strouhal-Zahlen im Bereich zwischen Sr = 0,02 und Sr = 0,1 und Reynolds-Zahlen zwischen Re = 700 und Re = 2000 gewährleistet. Als Ergebnis wurden auch hier komplexe Strömungsmuster ermittelt, die einen genauen Rückschluss auf die tatsächlichen Strömungsverhältnisse eines instationär durchströmten Bronchialbaums ermöglichen.
Abb.17: Strömungsfelder beim Ein- und Ausatmen
Beispielhaft sind auf Abbildung 17 die Strömungsfelder beim Ein- und Ausatmen dargestellt. Die strömungstechnischen Aspekte und die davon abgeleiteten medizinischen Erkenntnisse sind in den in der Literatur angegebenen Veröffentlichungen näher erläutert.
Insgesamt zeigt sich, dass das 3D-Printing Verfahren bei entsprechender Anpassung der Parameter und einer optimalen Verdichtung der Randschichten durch eine angepasste Infiltration hervorragend in der Lage ist, das Positiv eines beliebigen komplexen internen Hohlraumes nachzubilden.
Nachteilig ist vor allen Dingen die hohe Zerbrechlichkeit der 3D-Printing Modelle und das Beschädigungsrisiko bei der Infiltration. Deshalb müssen sich weitere Arbeiten darauf konzentrieren, die Gestaltfestigkeit der 3D-Printing Modelle im Prozess zu erhöhen, ohne das Ausspülverhalten negativ zu beeinflussen. Ferner muss die Versiegelung der Außenflächen verbessert werden, um eine Wechselwirkung mit dem transparenten Gießmaterial sicher auszuschließen.
Gelingt es, diese beiden Probleme zufrieden stellend zu lösen, dann kann das heute nur im Laborstadium erfolgreich umgesetzte Verfahren in die tägliche Routine überführt werden. Damit wäre die Grundlage für eine breite experimentelle Absicherung komplexer Innenströmungen gelegt.
Gebhardt, A.:
Rapid Prototyping – Werkzeuge für die schnelle Produktentstehung
.
2. völlig überarbeitete Auflage, Hanser Verlag, München, Sept. 2000.
Brücker, Chr. Flow visualization in a model of the bronchial tree in the human lung airways via 3-D PIV. Pacific Symposium Flow Visualization and Image Processing, June 3-5, Chamonix, France, 2003
Prof. Dr.-Ing. Andreas Gebhardt
Fachhochschule Aachen
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WEB:
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